Neue OGH-Entscheidung zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern
Die Verantwortung von Aufsichtsratsmitgliedern ist ein zentraler Aspekt der Unternehmensführung, ganz besonders wenn es um riskante Finanzgeschäfte geht. Eine kürzlich ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) bringt neue Klarheit in die Frage, inwieweit Aufsichtsräte für Verluste aus spekulativen Finanzinstrumenten haften. Im Fokus steht dabei die Rolle des Aufsichtsrats im Risikomanagement von Banken – ein Thema, das seit der Finanzkrise 2008 nochmals stark an Relevanz gewonnen hat.
Konkret ging es in der Entscheidung 6 Ob 142/23k um Verluste aus spekulativen Finanzgeschäften im Kontext von Kreditderivaten (Credit Default Swaps, CDS). Die klagende Bank, eine auf kommunale Finanzierungen spezialisierte österreichische Institution, machte Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe gegen ehemalige Aufsichtsratsmitglieder geltend. Im Kern der Sache stand der Vorwurf, dass diese ihre Überwachungs- und Kontrollpflichten, unter anderem im Risiko- und Liquiditätsmanagement, vernachlässigt hätten, wodurch es zu erheblichen Verlusten aus CDS-Positionen kam, die während der Lehman-Pleite im September 2008 massiv an Wert verloren. Das Erstgericht wies die Klage mangels Vorhersehbarkeit der Marktwertverluste ab, das Berufungsgericht hob dieses Urteil aufgrund fehlender intensivierter Sorgfalt der Beklagten ab.
Überwachungsfunktion des Aufsichtsrates
Bezugnehmend auf § 95 Abs 1 AktG sprach der OGH in seiner Entscheidung aus, dass die Rolle und Verantwortung des Aufsichtsrats nicht in der Geschäftsführung bestehen, sondern dieser die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung zu überwachen hat. Eine Intensivierung dieser Überwachung ist insbesondere in Krisenzeiten notwendig. Im Sinne des § 81 iVm § 95 Abs 1 AktG ist der Vorstand hierbei verpflichtet, dem Aufsichtsrat relevante Informationen zu liefern. Der Aufsichtsrat wiederum darf auf die Richtigkeit der Informationen vertrauen, sofern die von ihm vorzunehmende Plausibilitätskontrolle keine erkennbaren Widersprüche ergibt. Den Vorstand trifft in diesem Zusammenhang grundsätzlich eine Bringschuld, der Aufsichtsrat ist jedoch berechtigt, auch ohne konkreten Anlass, eigene Ermittlungen anzustellen, wie die Einforderung von Berichten iSd § 95 Abs 2 AktG oder sonstige Einsichtnahmen nach § 95 Abs 3 AktG.
Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrates
§ 99 AktG legt Aufsichtsratsmitgliedern eine Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit auf, die sinngemäß der Sorgfaltspflicht von Vorstandsmitgliedern nach § 84 AktG gleich zu halten ist. Laut OGH ist dahingehend von der Sorgfalt eines ordentlichen Aufsichtsratsmitgliedes auszugehen, die nach der besonderen Lage des Einzelfalls verlangt werden kann. In geschäftlichen und finanziellen Angelegenheiten wird hier – im Kontrast zu einem durchschnittlichen Kaufmann – auf ein erhöhtes Maß an Erfahrung und Wissen abgestellt und die dementsprechende Fähigkeit vorausgesetzt, schwierige rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge erkennen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft beurteilen zu können. Die Bedeutung und das Gewicht dieses erhöhten Sorgfaltsmaßstab ist dem des § 1299 ABGB praktisch ident. Was ein durchschnittlich sorgfältiger Aufsichtsrat aus ihm vorliegenden Informationen erkennen kann, bleibt dem OGH zu Folge eine Frage der Tat.
Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei Verlustgeschäften?
Was die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im gegenständlichen Verfahren anbelangt, wurde festgestellt, dass die extremen Marktverwerfungen nach der Finanzkrise nicht vorhersehbar waren. Die Frage, ob und inwieweit der Aufsichtsrat in einer solchen Konstellation haftet, ist dabei also stets aus der ex-ante-Perspektive und anhand der Übung des redlichen Verkehrs unter Zugrundelegung der besonderen Verhältnisse der Gesellschaft zu beurteilen. Der OGH hält in seiner Entscheidung fest, dass es vor September 2008 keine erkennbaren Warnsignale gab, die eine intensivierte Kontrolle durch den Aufsichtsrat verlangt hätten. Zu diesen kam es erst, als die Schäden nicht mehr abwendbar waren. Bis dahin durften die Beklagten also auf die Berichte des Vorstands und der Wirtschaftsprüfer vertrauen. Den schadenskausalen Vorwurf unterbliebener (intensivierter) Kontroll- und Überwachungstätigkeit lehnte der OGH demnach ab, gab den Revisionen bzw Rekursen folge und hob die Entscheidung des Berufungsgerichts (teilweise) auf.
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Maximilian Zirm | Partner – m.zirm@gibelzirm.com
Emma Campbell | Paralegal – e.campbell@gibelzirm.com
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