Georg Männl
Partner
Paul Breuer
Rechtsanwaltsanwärter

Mängel bei der neu erbauten Wohnung – welcher technische Standard gilt?

Beim Bau von Wohnhausanlagen oder auch Einfamilienhäusern treten nach Fertigstellung des Bauvorhabens oftmals Mängel auf, welche von kleinen optischen Fehlern bis hin zu gravierenden Mängeln, wie Wassereintritten oder statischen Problemen, reichen. Wenn zwischen den Vertragsparteien keine Lösung zur Behebung der Mängel gefunden werden kann, werden oftmals Rechtsanwälte, so auch unsere Kanzlei, eingeschalten. Eine der ersten Fragen, welche sich hierbei regelmäßig stellt, ist, was zwischen den Vertragsparteien eigentlich vereinbart wurde. Eine Klärung dieser Frage erfolgt oftmals erst in einem langjährigen Gerichtsverfahren. Im Folgenden wird daher kurz dargelegt, wie die Frage des Leistungsinhalts im Zusammenhang mit technischen Standards beantwortet werden kann.

Bei Werkverträgen (zB zur Errichtung eines Wohnhauses) und bei Kauf- und Bauträgerverträgen (zum Erwerb eines Objekts von einem Bauträger) wird meistens nicht bis ins kleinste Detail vereinbart, welche Ausführung vom Vertragspartner geschuldet ist. Zwar finden sich oftmals in Bau- und Austattungsbeschreibungen konkrete Auflistungen der zu verwendenden Produkte. Genaue Regelungen, nach welchen Richtlinien und Standards diese Produkte zu verbauen sind und das Haus insgesamt zu errichten ist, werden jedoch nicht getroffen. In manchen Verträgen finden sich noch Formulierungen wie zum Beispiel „dem Stand der Technik entsprechend“ oder „hochwertig“. Was mit diesen Begriffen jedoch konkret gemeint ist, ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern muss im Gerichtsverfahren mithilfe der Vertragsauslegung im Einzelfall ermittelt werden, da es in Österreich keine einheitliche Definition solcher Begriffe gibt. Hinzu kommt, dass Begriffe wie „anerkannte Regeln der Technik“ und „Stand der Technik“ oftmals als Synonym verwendet werden. Betrachtet man die Begriffe jedoch im Detail, so können sich im Einzelfall große Unterschiede ergeben.

In einem Gerichtsverfahren ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, welcher technische Standard vereinbart wurde und danach wird meist durch einen Sachverständigen im Auftrag des Gerichts geprüft, ob der vereinbarte Standard erfüllt wurde.

Wird keine bestimmte Ausführung vereinbart, so hat die Leistung bzw das Werk die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften zu erfüllen, welche sich regelmäßig aus den anerkannten Regeln der Technik ergeben.

Da die Überprüfung der Erfüllung des vereinbarten Standards daher meist durch einen technischen Sachverständigen erfolgt, soll kurz dargestellt werden, was diese unter den folgenden Begriffen verstehen. .

  • Regeln der Technik: Dieser Begriff umfasst alle anerkannten Techniken, welche sich durch ihre langjährige Erprobung und praktische Umsetzung bewährt haben und von der überwiegenden Mehrheit der Fachleute anerkannt wurden.
  • Stand der Technik: Dieser Begriff umfasst die aktuellen technischen Möglichkeiten und fortschrittlichen Verfahren, welche bereits in der Umsetzung erprobt sind und wirtschaftlich durchführbar sind. Der Stand der Technik kann sich folglich durch Innovationen laufend ändern.
  • Stand der Wissenschaft: Dieser Begriff stellt die neusten technischen Erkenntnisse dar, welche noch nicht praktisch erprobt wurden, jedoch den veröffentlichten wissenschaftlichen Kenntnisstand widerspiegeln.

Oftmals in diesem Zusammenhang erwähnt werden auch die ÖNORMEN, welche eine Sammlung von technischen Standards darstellen. Wie die ÖNORMEN in die obigen Definitionen einzuordnen sind, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Judikatur können die ÖNORMEN in einem bestimmten Bereich den Stand der Technik abbilden oder aber auch hinter diesem zurückbleiben. Der Vorteil von ÖNORMEN ist, dass diese einen definierten Maßstab bieten, anhand dessen die Leistungserbringung überprüft werden kann. Zu beachten ist jedoch, dass die ÖNORMEN grundsätzlich nur dann gelten, wenn dies ausdrücklich vereinbart wird oder die ÖNORMEN per Gesetz als verbindlich erklärt werden.

Im Ergebnis ist die Frage, welcher technische Standard vereinbart wurde und ob die tatsächliche Ausführung diesem Standard entspricht, nicht immer leicht zu beantworten. Es ist daher empfehlenswert die Gültigkeit der ÖNORMEN vertraglich zu vereinbaren, da diese ein nachvollziehbares schriftliches Regelwerk darstellen.

Unser Bau- und Immobilienrechtsteam steht für Fragen und die Beratung in diesem Zusammenhang jederzeit gerne zur Verfügung.

 

Georg Männl | Partner g.maennl@gibelzirm.com

Paul Breuer | Rechtsanwaltsanwärter p.breuer@gibelzirm.com

 

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