Die rechtliche Dimension von Enterbungsgründen
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einem aktuellen Rechtsstreit (zu GZ 2 Ob 228/23b) um das Erbe einer Künstlerin eine wegweisende Entscheidung getroffen. Im Zentrum des Konflikts steht die Enterbung von zwei Töchtern, die laut Testament von 2015 durch schwerwiegende seelische Verletzungen der Erblasserin gerechtfertigt wurde.
Hintergrund
Die verstorbene Künstlerin setzte in ihrem Testament den Sohn als Alleinerben ein und begründete die Enterbung ihrer beiden Töchter damit, dass diese der Erblasserin schweres seelisches Leid zugefügt haben. Die Töchter, die daraufhin ihren Anspruch auf den Pflichtteil in einer Stufenklage erhoben, bestritten den genannten Enterbungsgrund.
Jahre zuvor übertrug die Erblasserin den Töchtern unentgeltlich die Rechte an tausenden Fotos und Filmen, die als ihr Lebenswerk galten. Dabei betonte sie ausdrücklich ihre alleinige Entscheidungshoheit über die Verwertung und Verwaltung des Materials. Trotz dieser eindeutigen Vereinbarung handelten die Töchter wiederholt eigenmächtig und gegen den klaren Willen der Erblasserin. Die resultierenden anwaltlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen führten zu einer tiefen, chronischen Kränkung der Erblasserin, die von Enttäuschung und Zerwürfnis geprägt war.
Rechtliche Grundlage und Entscheidung des OGH
Gemäß § 770 Z 4 ABGB kann ein Pflichtteilsberechtigter enterbt werden, wenn dieser dem Erblasser in verwerflicher Weise schweres seelisches Leid zugefügt hat. Dies kann verschiedene Formen annehmen, darunter etwa das Verlassen in einer Notsituation, Verächtlichmachen oder subtiler psychischer Druck. Der OGH betont, dass gelegentliche Streitereien oder verbale Konflikte im Allgemeinen nicht die geforderte Schwere des seelischen Leids darstellen.
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, da sie die Enterbung als gerechtfertigt ansahen. Der OGH schloss sich dieser Meinung an und wies die Revision der Klägerinnen zurück. In der rechtlichen Beurteilung betonte der OGH, dass das Handeln der Klägerinnen gegen den ausdrücklichen Willen der Erblasserin zu einer tiefen, chronischen Kränkung bei dieser führte.
Die Entscheidung des OGH in diesem Erbschaftsstreit setzt klare Maßstäbe bezüglich der Zulässigkeit von Enterbungen aufgrund schwerwiegender seelischer Verletzungen. Der Fall verdeutlicht die Bedeutung von familiären Vereinbarungen und die Konsequenzen deren Verletzung.
David Stockhammer | Rechtsanwalt – d.stockhammer@gibelzirm.com
Julia Lorenz | Paralegal – j.lorenz@gibelzirm.com
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