Michael Niederegger
Rechtsanwaltsanwärter

Körperverletzungen beim Sport | Ermessenspielraum des Gerichts

Im Zuge sportlicher Wettkämpfe können die eigenen Emotionen durchaus schon mal mit einem durchgehen. Neulich zeigte sich dies etwa bei den US Open, als ein im Ärger weggeschossener Tennisball die Linienrichterin am Hals traf und zur Disqualifikation des Turnier-Favoriten und Weltranglistenersten führte. Blieb die getroffene Linienrichterin
– laut  bisherigem Informationsstand – glücklicherweise von Verletzungen verschont, so musste sich der OGH in seiner Entscheidung 9 Ob 27/20s vom 25.6.2020 hingegen mit den rechtlichen Konsequenzen einer beim Hobbyfußballturnier zugefügten Fußverletzung auseinandersetzen.

Kläger und Beklagter nahmen als Spieler gegnerischer Mannschaften am Fußballturnier teil. Als der Kläger im Ballbesitz in Richtung des gegnerischen Tores lief, trat der Beklagte von hinten zunächst gegen den rechten und dann auch gegen den linken Fuß des Klägers. Dieser wurde dadurch "ausgehoben“, stürzte und erlitt einen verrenkten Bruch des Wadenbeins sowie einen Bänderriss am Sprunggelenk.

Der Kläger forderte vom Beklagten daraufhin Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung für Spät- und Dauerfolgen. Begründet wurde dies mit dem Argument, dass es sich beim Verhalten des Beklagten um einen Regelverstoß gehandelt habe, welcher nicht spieltypisch, sondern unangebracht aggressiv gewesen sei.

In erster und zweiter Instanz wurde dem Klagebegehren des Klägers stattgegeben. Die Gerichte vertraten dabei die Rechtsauffassung, dass der Beklagte dem Kläger gegen die Füße getreten hat, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst war, dass er den Ball nicht mehr erreichen konnte und ein Kontakt mit dem Kläger hätte vermieden werden können.

Der OGH wies eine vom Beklagten erhobene Revision zurück. Nach seiner Auffassung seien Handlungen oder Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt wird, dann rechtswidrig, wenn sie das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößern.

Eine Haftung wird im Allgemeinen nur dann verneint, wenn der Schädiger nicht feststellen kann, ob seine Chancen auf den Ball von vornherein aussichtslos sind oder wenn er diese Einschätzung aufgrund der Schnelligkeit des Spiels nicht (mehr) treffen kann.

Ob ein Verhalten über den beim Fußballspiel immer wieder vorkommenden typischen Regelverstoß hinausgeht, hänge laut Ansicht des OGH aber stets von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass das Verhalten des Beklagten nicht mehr als spieltypisch, sondern stattdessen als rechtswidrig einzustufen ist, liege jedenfalls im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums. Die Revision des Beklagten wurde daher zurückgewiesen

FAZIT: Die Beurteilung darüber, ob das Verhalten eines Fußballspielers, der den Gegner attackiert, obwohl er weiß, dass er den Ball nicht erreichen wird und der Kontakt mit dem Gegner vermieden werden kann, noch spieltypisch oder bereits rechtswidrig ist, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.  

Michael Niederegger | Rechtsanwaltsanwärter – m.niederegger@gibelzirm.com

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