Ulrike Prokes
Associate

ZWEITE UND DRITTE OGH-ENTSCHEIDUNG ZUR MIETZINSBEFREIUNG WEGEN PANDEMIEBEDINGTER BETRETUNGSVERBOTE

Der Oberste Gerichtshof hat in den Rechtssachen 3 Ob 184/21m und 5 Ob 192/21b erneut zur Mietzinsbefreiung wegen pandemiebedingter Betretungsverbote entschieden und weitere interessante Rechtsfragen geklärt.

Sachverhalt der Entscheidungen 3 Ob 184/21m und 5 Ob 192/21b

Die Beklagten betrieben Geschäftslokale (Nagelstudio und Fitnessstudio) in einem Einkaufszentrum in 1140 Wien. Der Bestandszweck war jeweils im Bestandsvertrag geregelt. Zudem befand sich jeweils eine Klausel im Vertrag, wonach die Bestandnehmer auf Mietzinsminderungen gem §§ 1096 und 1104 ABGB verzichten, sofern dem Bestandnehmer daraus kein „erheblicher, nachweislicher Nachteil entsteht“.

Die Klägerin, die Betreiberin des Einkaufszentrums, war in beiden Fällen der Ansicht, dass die Beklagten ihr den Mietzins schulden, da sie selbst das Einkaufszentrum für die Grundversorgungsbetriebe (Apotheken, Lebensmittel, etc) weiter geöffnet halten musste und somit weiter für Reinigung, Bewachung, etc aufkommen musste.

Entscheidungen des OGH

Bezugnehmend auf die erste Entscheidung des OGH zur Covid-Mietzinsbefreiung zur GZ 3 Ob 78/21y (Gibel Zirm informierte dazu im Detail hier), entschied der OGH, dass der Mietzins für die Dauer der behördlich angeordneten Betretungsverbote gänzlich entfalle, da es sich bei Covid-19 um eine „Seuche“ iSd § 1104 ABGB handelt. In beiden Fällen lag eine Unbenutzbarkeit der Bestandgegenstände vor, weil der vertragliche Geschäftszweck (Betrieb eines Nagelstudios bzw Fitnessstudios) nicht mehr erfüllt werden konnte. Es lag gemäß den (gleichlautenden) Bestandverträgen kein Verzicht auf die Geltendmachung eines Mietzinsminderungsanspruches vor, weil die Covid-19-Pandemie einen erheblichen und nachweisbaren Nachteil für die Mieter darstellte und somit eine vereinbarte Ausnahme zum Verzicht auf die Geltendmachung vorlag.

Der OGH führte zudem aus, dass die Gebrauchsbeeinträchtigung durch die „Seuche“ nicht unmittelbar aus der Pandemie selbst resultieren muss, sondern es ausreiche, dass die Unbenutzbarkeit auf hoheitliche Maßnahmen (welche wiederum aufgrund der „Seuche“ beschlossen wurden) zurückzuführen ist.

Der OGH stellte weiters ausdrücklich klar, dass §§ 1106 und 1107 nicht einschlägig sind, weil die Covid-19-Pandemie nicht Teil des allgemeine Unternehmerrisikos ist und nicht in die alleinige Risikosphäre des Bestandnehmers fällt.

Aus all diesen Gründen war in beiden Fällen die vertragsmäße charakteristische Nutzung (Betrieb eines Nagelstudios bzw Fitnessstudios) lt OGH nicht nur eingeschränkt (was lt OGH eine Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode nach sich ziehen würde), sondern lag eine gänzliche Unbenutzbarkeit vor. Dies führt gem höchstgerichtlicher Rsp zu einem gänzlichen Entfall des Mietzinsens. Der OGH sprach beiden Geschäftsraummietern daher eine gänzliche Mietzinsminderung für die Dauer der Betretungsverbote zu, wobei diese auf den Tag genau berechnet wurde (monatlicher Mietzins : Anzahl der Tage * Anzahl der Tage des Betretungsverbotes).

Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle festgehalten, dass die Frage, ob die Lagerung von Waren oder das Belassen von Einrichtungsgegenständen einen Restnutzen begründen, in beiden Fällen nicht Teil der Entscheidung des OGH war. Zudem war der Sachverhalt gem OGH in beiden Fällen so gelagert, dass es den Mietern (Nagelstudio und Fitnesstudio) nicht möglich war, ihren Geschäftszweck zu ändern und die Bestandobjekte anderweitig zu nutzen (zB Abholung von Online-Bestellungen). Die Mieter wären dazu auch gem Bestandvertrag gar nicht berechtigt gewesen.

Der Umstand, dass das Einkaufszentrum für die Grundversorgungsbetriebe geöffnet war, ändert daran nichts. Die Aufrechterhaltung der Parkmöglichkeiten, die Versorgung des Einkaufszentrums mit Energie, die Bewachung und Reinigung, etc bildeten nämlich keinen bewertbaren geschäftlichen Nutzen für die Mieter, sodass diese dafür auch nicht bezahlen müssen. Es ist also stets auf die Benutzbarkeit des konkret gemieteten Bestandobjektes abzustellen und nicht auf das gesamte geschäftliche Umfeld.

Zum Fixkostenzuschuss (beruhend auf der Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die Covid-19-Finanzierungargentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 2020/225, in Kraft getreten am 26.5.2020) entschied der OGH, dass dieser das Ziel hat, die Liquidität der geförderten Unternehmen sicherzustellen. Somit stellt der Fixkostenzuschuss eine Beihilfe gem Art 107 Abs 2 lit b AEUV für die geförderten Unternehmen (nicht aber deren Bestandgeber) dar. Die Verordnung hat daher nicht den Zweck, die Mietzinsausfälle von Geschäftsraumvermietern wettzumachen und enthält aus diesem Grund auch keine Pflicht für die Bestandnehmer, den Fixkostenzuschuss an Bestandgeber weiterzuleiten. Daraus folgt, dass der Fixkostenzuschuss nicht an den Bestandgeber weitergeleitet werden muss.

Der OGH begründete dies weiters damit, dass der Fördernehmer gem der Verordnung auch eine Schadensminderungsobliegenheit gegenüber der COFAG hat, welche dazu führt, dass der Bestandnehmer sogar verpflichtet ist, sämtliche Mietzinsminderungen in Anspruch zu nehmen, widrigenfalls die Förderung von der COFAG auch nach einer ex post Kontrolle (welche zumindest stichprobenartig durchgeführt werden wird) zurückverlangt werden kann.

Die somit höchstgerichtlich geklärten Rechtsfragen auf einen Blick:

  • Covid-19 stellt eine „Seuche“ iSd § 1104 ABGB dar.
  • Für die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB ist es nicht erforderlich, dass das Elementarereignis in die physische Substanz des Bestandobjektes eingreift.
  • § 1104 ABGB ist auch dann anwendbar, wenn der Bestandgegenstand nicht unmittelbar aufgrund des Elementarereignisses, sondern aufgrund einer daraus resultierenden hoheitlichen Anordnung (hier Betretungsverbot), nicht benutzbar bzw brauchbar ist.
  • §§ 1106 und 1107 sind nicht einschlägig, weil die Pandemie nicht Teil des allgemeinen Unternehmerrisikos ist.
  • Für Bestandobjekte, für die ein Betretungsverbot galt und die auch nicht anderwärtig benutzt werden konnten (zB für Lagerungen, administrative Tätigkeiten, etc), gebührt eine Mietzinsreduktion im Ausmaß von 100 %. Diese ist auf den Tag genau für die Dauer des Betretungsverbotes zu berechnen.
  • Der Umstand, dass ein Einkaufszentrum für Grundversorgungsbetriebe geöffnet war, ändert an der Mietzinsreduktion nichts, zumal auf die Benutzbarkeit des konkret gemieteten Bestandobjektes abzustellen ist.
  • Der Fixkostenzuschuss muss nicht an den Bestandgeber weitergeleitet werden.

 

Ulrike Prokes | Rechtsanwaltsanwärterin u.prokes@gibelzirm.com

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