Ulrike Prokes
Rechtsanwaltsanwärterin

Erste OGH-Entscheidung zur Mietzinsbefreiung wegen pandemiebedingter Betretungsverbote

Der Oberste Gerichtshof hat in der Rechtssache 3 Ob 78/21y erstmals zur Mietzinsbefreiung wegen pandemiebedingter Betretungsverbote entschieden. In dieser werden die ersten, in der Literatur bereits vielfach aufgegriffenen Rechtsfragen höchstgerichtlich behandelt. Wie die nachfolgende Zusammenfassung zeigt, bestehen aber nach wie vor weitere spannende und ungeklärte Rechtsfragen.

Sachverhalt der Entscheidung 3 Ob 78/21y

Die Klägerin betrieb ein Sonnenstudio samt Getränkeausschank und Verkauf von Zubehör / Pflegeartikel in einem angemieteten Geschäftslokal. Der Beklagte war Eigentümer dieses Geschäftslokals.

Die Klägerin konnte das angemietete Geschäftslokal im April 2020 aufgrund der Ausgangsbeschränkungen und des Betretungsverbotes nicht nutzen. Es konnten keine Sonnenstudio-Behandlungen vorgenommen oder Getränke verkauft werden. Administrative Tätigkeiten erledigte die Klägerin von zu Hause. Das Geschäftslokal wurde auch nicht als Lager verwendet, da seit längerem keine Pflegeprodukte mehr verkauft wurden. Sämtliche Elektrogeräte sowie die Heizung wurden abgedreht.

Die Klägerin war der Ansicht, dass sie den Bestandgegenstand gänzlich nicht benutzten konnte und zahlte den Bestandzins für April 2020 nicht. Sie berief sich auf § 1104 ABGB.

Entscheidung des OGH

Der OGH entschied auf Basis des oben dargelegten Sachverhaltes, dass dem Sonnenstudio eine gänzliche Mietzinsreduktion gem § 1104 ABGB für April 2020 zustand und begründete diese Entscheidung wie folgt:

Zum einen bejahte der OGH die Frage, ob für das Sonnenstudio im April 2020 ein Betretungsverbot herrschte, da dieses keinem Ausnahmetatbestand der Schließungsverordnung (BGBl II 2020/96, verlängert durch BGBl II 2020/110 und BGBl II 2020/151) unterlag. Im nächsten Prüfschritt stellte der OGH klar, dass der § 1104 ABGB auf die Covid-19 Pandemie Anwendung findet, weil die Viruskrankheit als Elementarereignis „Seuche“, also als Infektionskrankheit mit schwerem Verlauf und großer Verbreitung, sowie als „außerordentlicher Zufall“, der von den Menschen nicht beherrschbar und nicht erwartbar ist, zu qualifizieren ist. Es ist für die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB nicht erforderlich, dass das Elementarereignis in die physische Substanz des Bestandobjektes eingreift. Dies deshalb, weil das Gesetz mit der ausdrücklichen Nennung der Seuche einen geradezu typischen Anwendungsfall nennt, welcher eben keine Substanzschädigung hervorruft. Zudem ist § 1104 ABGB auch dann anwendbar, wenn der Bestandgegenstand nicht unmittelbar aufgrund der Seuche, sondern aufgrund einer daraus resultierenden hoheitlichen Anordnung (hier Betretungsverbot), nicht benutzbar bwz brauchbar ist.

Der OGH entschied, dass das Sonnenstudio im vorliegenden Fall tatsächlich auch nicht teilweise genutzt werden konnte (keine administrativen Tätigkeiten oder Lagerzwecke), sodass eine Mietzinsminderung im Ausmaß von 100 % zustand. Der Verbleib von Einrichtungsgegenständen oder Dekorationsgegenständen stellt keine „Nutzung“ des Bestandobjektes dar.

Im Hinblick auf den Fixkostenzuschuss behandelte der OGH in der vorliegenden Entscheidung lediglich die Frage, ob dieser für April 2020 anzurechnen ist oder nicht und verneinte eine mögliche Anrechnung mit der Begründung, dass die Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten erst Ende Mai 2020 in Kraft trat und daher für die Zinsbefreiung im April 2020 rechtlich (noch) nicht relevant sein konnte.

Aufgrund des speziellen Sachverhaltes (gänzlich unbenutzbares Bestandobjekt) musste die Klägerin auch keine Betriebskosten entrichten. Sie hatte vor Verlassen des Geschäftslokales sämtliche Geräte abgesteckt und die Heizung abgedreht, sodass im vorliegenden Fall gar keine Betriebskosten anfielen.

Weiterhin ungeklärte Rechtsfragen

Aufgrund des speziellen Sachverhaltes sind nach wie vor einige wichtige Rechtsfragen nicht höchstgerichtlich geklärt. Darunter fällt insbesondere die Frage, wie eine Mietzinsminderung zu berechnen ist, wenn eine teilweise Nutzung des Bestandobjektes (zB zu Lagerzwecken, als Take-Away, Onlineversandhandel, etc) möglich war. Diesbezüglich hält der OGH ausdrücklich fest, dass die Frage im vorliegenden Fall nicht entscheidungsrelevant war und daher auch nicht behandelt wurde. Behandelt wurde die Frage allerdings bereits vom LGZRS Wien, welches in der Entscheidung zur GZ 39 R 27/21s entschied, dass die tatsächliche Nutzung eines Bestandobjektes durch einen Buchhändler anteilig zu berechnen ist und für diesen Anteil auch Mietzins zu entrichten ist.

Weiters nicht geprüft wurde die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Recht zur außerordentlichen Kündigung von Bestandsverhältnissen, die von COVID-19-bedingten Einschränkungen betroffen sind, besteht.

Betreffend Fixkostenzuschuss ist bisher nur geklärt, dass ein solcher Zuschuss für Mietzinse vor dem Inkrafttreten der diesbezüglichen Richtlinie am 26. Mai 2020 nicht angerechnet werden muss. Weiterhin noch nicht abschließend geklärt ist, ob ein allfällig zustehender Fixkostenzuschuss auf Mietzinsminderungen nach Mai 2020 anzurechnen ist. Dazu entschied allerdings bereits das LGZRS Wien in seiner Entscheidung zur GZ 39 R 27/21s und verneinte eine Anrechenbarkeit. Dies deshalb, weil Unternehmer, die einen Fixkostenzuschuss beantragen, nur dann einen Zuschuss erhalten, wenn sie alle zumutbaren Maßnahmen gesetzt haben, um die Fixkosten zu reduzieren. Dazu gehöre auch die Geltendmachung von gesetzlich geregelten Mietzinsminderungsansprüchen, sodass der Bestandnehmer seinen Anspruch geltend machen muss.

Im Hinblick auf die laufenden Betriebskosten bleibt abzuwarten, ob in und in welcher Höhe diese zu entrichten sind, wenn trotz Betretungsverbot weiterhin Strom und/oder Gas verbraucht wurden (zB für den Betrieb von Kühlschränken, Beleuchtung des Schaufensters, etc). Darüber hinaus ist die spannende Frage nach wie vor ungeklärt, wie mit verbrauchsunabhängigen Betriebskosten umzugehen ist.  

Obwohl nun eine erste Leitentscheidung vorliegt, sind viele wichtige Rechtsfragen noch nicht höchstgerichtlich geprüft und entschieden. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind daher auch die nächsten Entscheidungen zu Covid-19-bedingten Mietzinsminderungen mit großem Interesse zu verfolgen.

Wir werden unsere Mandanten weiterhin auf dem aktuellen Stand halten.

Die höchstgerichtlich geklärten Rechtsfragen auf einen Blick:

  • Covid-19 stellt eine „Seuche“ iSd § 1104 ABGB dar.
  • Für die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB nicht erforderlich, dass das Elementarereignis in die physische Substanz des Bestandobjektes eingreift.
  • § 1104 ABGB ist auch dann anwendbar, wenn der Bestandgegenstand nicht unmittelbar aufgrund des Elementarereignisses, sondern aufgrund einer daraus resultierenden hoheitlichen Anordnung (hier Betretungsverbot), nicht benutzbar bwz brauchbar ist.
  • Für Bestandobjekte, für die ein Betretungsverbot galt und die auch nicht anderwärtig benutzt werden konnten (zB für Lagerungen, administrative Tätigkeiten, etc), gebührt eine Mietzinsreduktion im Ausmaß von 100 %.

 

Ulrike Prokes | Rechtsanwaltsanwärterin – u.prokes@gibelzirm.com

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